„Wir sind nicht nur systemrelevant, sondern unverzichtbar“
Artikel vom 12.05.2023

Dana Hausmann fordert in Aurich bessere Arbeitsbedingungen und mehr Lohn für medizinische Angestellte im Krankenhaus – damit ist sie nicht allein. Bild: Annika Schmidt
250 Beschäftigte der Kliniken in Aurich, Emden und Norden haben ihrer Wut über schlechte Arbeitsbedingungen vor dem Auricher UEK Luft verschafft. Eine 50 Stunden-Woche ist für viele dort Alltag.
Ostfriesland/Kreis Aurich - Vor der Ubbo-Emmius-Klinik in Aurich weht am Dienstagmittag um 12.40 Uhr ein eisiger Wind, es ist sechs Grad und gefühlt noch viel kälter. Trotzdem haben sich 250 Beschäftigte der Kliniken in Aurich, Emden, Norden und der ANE Service GmbH an diesem Tag zu einer zentralen Kundgebung vor dem UEK versammelt. Die Gewerkschaft Verdi hatte zum Streik aufgerufen und die Kliniken der Trägergesellschaft waren dem Aufruf gefolgt. Es geht um mehr Lohn, eine Übernahme von Auszubildenden und bessere Arbeitsbedingungen.
Viele Überstunden aufgrund von Personalmangel
Eine von den 250 Beschäftigten am Dienstagmittag ist Dana Hausmann. Die 27-jährige ist seit fünf Jahren ausgelernte Operationstechnische Assistentin. Im Auricher UEK arbeitet sie seit einem Jahr, vorher war sie im Borromäus Hospital in Leer beschäftigt. Seit 8.15 Uhr steht die junge Frau bereits vor dem Eingang des Auricher Krankenhauses und verschafft ihrem Unmut über die Situation in ihrer Abteilung Luft. Sie ist durchgefroren doch ihre Stimme noch so stark wie am Morgen. Dana Hausmann fordert nicht nur mehr Geld, sie fordert auch bessere Arbeitsbedingungen. „Es wird von uns sehr viel verlangt und wir müssen im Privatleben auf viel verzichten. Wir gelten als systemrelevant, doch ich bin der Meinung, wir sind unverzichtbar“, macht die 27-jährige an diesem Mittag vor 249 Beschäftigten deutlich. Sie berichtet von zu wenig Lohn und unzähligen Überstunden aufgrund des Fachkräftemangels. „Wenn wir nicht mehr Unterstützung bekommen, weiß ich nicht, wie wir das in Zukunft stemmen sollen“, stellt sie vor allen Anwesenden klar. So wie ihr geht es vielen Angestellten in den drei Kliniken.

Rund 250 medizinische Angestellte hatten sich vor dem UEK in Aurich versammelt. Einige von ihnen kamen aus Emden und Norden.
Bild: Annika Schmidt
Gaby Goldenstein, Betriebsratsvorsitzende des UEK, erklärte das bisherige Angebot der Arbeitgeber für einen „Schlag ins Gesicht. und verdeutlichte, dass viele Arbeitnehmer der ANE Service GmbH noch immer nur nach Mindestlohn bezahlt werden.
Bild: Annika Schmidt

Hausmann berichtet, dass sie in der Regel an die 50 Stunden in der Woche im OP arbeitet. Darunter regelmäßig Bereitschaftsdienste von 16 ½ Stunden. Voll vergütet bekommt sie diese aber nicht, wie sie sagt. „Bei uns wird der Bereitschaftsdienst nicht voll berechnet. Es wird ein Durchschnittswert ermittelt, was du bei acht Stunden Arbeit bekommen hättest und der wird dir dann ausgezahlt“, erklärt sie. Dabei kommt es nicht selten vor, dass die 27-Jährige die vollen 16 ½ Stunden im OP durcharbeitet. Ob sie es an Ostern schafft ihre Familie zu sehen, hält sie für unwahrscheinlich. Sie muss arbeiten.
Mitarbeiter haben Angst sich kritisch zu äußern
„Wir haben einen starken Personalmangel und immer Krankheitsausfälle, die es zu kompensieren gilt“, sagt sie. Dies sei auch ein Grund, warum nicht mehr Beschäftigte an diesem Tag mittstreiken würden. Gaby Goldenstein, Betriebsratsvorsitzende des UEK, bestätigt dies auf Nachfrage der Redaktion. „Wir haben aktuell so viele Krankheitsausfälle, dass wir sonst nicht die Wochenenddienste besetzt bekommen hätten“, stellt Goldenstein klar. Um streiken zu können, hatten die Operationstechnischen Assistenten, wie Dana Hausmann, deshalb extra mit den Ärzten vereinbart, an diesem Vormittag nur Notfälle zu operieren. Es gäbe aber auch viele Kollegen, die Angst hätten zu streiken, berichtet sie.
Beschäftigte fordern attraktivere Arbeitsbedingungen
Die junge Frau wünscht sich wie die anderen Streikenden mehr Wertschätzung und Anerkennung für ihre Arbeit. 10,5 Prozent mehr Lohn und andere Arbeitsbedingungen sind ihre Forderung. Die fordert die junge Frau dabei nicht nur für sich, sondern für die ganze Branche. Nur so sei ihr Beruf wieder attraktiv für andere. Und Nachwuchs wird dringend gebraucht, die Belastung ist hoch. „Ich liebe meinen Beruf, genau wie die meisten meiner Kollegen. Ich hatte aber in den vergangenen Wochen schon oft den Gedanken mich bei VW ans Band zu stellen. Ich schaue wirklich andere Stellenanzeigen durch“, gibt sie zu.
Azubi hat 180 Euro zum Leben
So wie Dana Hausmann geht es auch Stephan Maaßen. Er ist im dritten Lehrjahr seiner Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft in der Auricher Ubbo-Emmius-Klinik. Im Zuge seiner Ausbildung muss er auch immer wieder zum Standort nach Emden. Von ihm wird Mobilität bzw. Flexibilität gefordert. Doch diese stellt ihn finanziell vor Probleme. „Mir bleiben nach allen Abzügen noch gerade einmal 250 Euro zum Leben. Davon gehen nochmal 70 Euro für Benzin für die Fahrt nach Emden drauf. Wenn ich dann auch noch mein Auto reparieren lassen müsste, wäre das der Super-GAU“, beschreibt er seine Situation ganz deutlich. Ihm ginge es nicht darum reich zu werden, sondern einfach sorglos sein Exam machen zu können. „Wir müssen uns hier Wertschätzung erkämpfen und alleine die Tatsache, dass wir das müssen zeigt, wie viel es davon bei uns im Haus gibt“, sagt der Azubi.
Als Dank für Einsätze nur warme Worte und Impfpflicht
Doch nicht nur Beschäftigte der Kliniken streikten am Dienstag, auch der Rettungsdienst des Landkreises Aurich schloss sich an. Timo Niebuhr forderte für sich und seine Kollegen mehr Geld und weniger Arbeitszeit. Die Einsatzzahlen seien gestiegen und die Dauer ebenso. Der Lohn jedoch im Vergleich zu anderen Branchen kaum. Bis zu 48 Stunden in der Woche sind er und seine Kollegen oft im Dienst. „Wir sind in der Pandemie an unsere Leistungsgrenzen gegangen, haben unsere eigene Gesundheit gefährdet und uns stärker isoliert als jeder andere und zum Dank erhalten wir warme Worte und die Impfpflicht“, stellt der Rettungssanitäter klar. Bei der nächsten Tarifverhandlungsrunde in Potsdam will er wieder vor Ort sein.
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