So wird mit dem neuen Roboter operiert
Artikel vom 09.11.2022

Blick in den OP: Über der Patientin sieht man die Roboter-Arme. Ganz rechts sitzt Chefarzt Dr. Muneer Deeb und steuert das Gerät. Bild: Rittner
In der Ammerland-Klinik setzt man jetzt auf roboterbasierte Chirurgie. Doch wie funktioniert das? Die NWZ war live bei einer Operation dabei.
Es sieht aus wie in einem Science-Fiction-Film. Eine Patientin liegt auf einem Operationstisch. Über ihr schweben Roboter-Arme, an deren Enden OP-Instrumente angebracht sind. Die Bildschirme zeigen das Innere ihres Bauchs, wo gerade Teile des Darms entfernt werden. Das macht der Roboter allerdings nicht selbstständig. Einige Meter weg vom OP-Tisch steuert Dr. Muneer Deeb, Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie, die Arme des millionenteuren Roboters. Der Steuerungstisch sieht aus wie eine High-Tech-Spielekonsole.
Im Juni hat die Ammerland-Klinik das „Da Vinci-Operationssystem“ als erstes Krankenhaus im Nordwesten angeschafft. Nach einer intensiven Testphase begann man im Herbst mit echten OPs. „Unsere ersten Erfahrungen haben die Erwartungen übertroffen“, berichtet Dr. Deeb. Der große Vorteil: der Roboter kann extrem präzise operieren, er kommt an Stellen, die menschliche Chirurgen nur schwer erreichen. Und auch bei stundenlangen Eingriffen wird er nicht müde.
Präzise Technik
Die Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, die Klinik für Urologie und Kinderurologie und die Klinik für Gynäkologie teilen sich den neuen „Kollegen“, der intern von vielen „Alfred“ genannt wird. Von seiner präzisen Technik profitieren insbesondere Krebspatienten mit Tumoren an den inneren Organen, im Brustkorb, dem Bauch- und Beckenraum. „Die Genesung der Patienten geht durch die schonenderen Eingriffe viel schneller“, erklärt Oberärztin Dr. Anke Lenz.
Wie innovativ die neue Technik ist, zeigt auch die Operation an diesem Tag. Bei der Patientin muss ein Teil des Enddarms entfernt werden. Früher war dafür ein großer Bauchschnitt nötig. Mit „Alfred“ gibt es nur wenige kleine Löcher in der Bauchdecke, durch die die Sonden eingeführt werden. Nur für den entfernten Darm und um weggeschnittenes Gewebe aus dem Körper zu entfernen, gibt es noch einen kleinen Bauchschnitt.
Das faszinierende an der neuen Methode ist neben der Genauigkeit auch die hochauflösende Kameraüberwachung des Operationsgebietes. Der Chirurg und sein Team sehen genau, was gerade passiert auf Vergrößerungs-Monitoren. Was dabei überrascht: Es fließt kaum Blut. Nerven werden erhalten. Schonender geht es nicht. „Einige unserer ersten Operationen waren bereits komplexere Krebsoperationen. Darunter die erfolgreiche Entfernung von Magen-, Bauchspeicheldrüsen- sowie Speiseröhrenkrebs“, sagt Dr. Deeb. Gerade in diesem Bereich soll die teure und aufwendige Technik eingesetzt werden.
Was gut ist für die Patienten, ist für die Ammerland-Klinik ein Luxus. Denn die Krankenkassen finanzieren den medizinischen Fortschritt nicht mit. Eine Magen-OP ist abrechnungstechnisch eine Magen-OP. Also aktuell nur eine Methode für Privat-Patienten? „Nein“, sagt Dr. Lenz. „Wir machen es dort, wo es sinnvoll ist.“ Bislang wurden mit „Alfred“ fast ausschließlich Kassenpatienten operiert.
Kaum Skepsis
Sind die Patienten nicht skeptisch, wenn sie mit Roboter-Technik operiert werden sollen? „Wir erleben eher den umgekehrten Effekt, dass gezielt danach gefragt wird. Außerdem gibt es eine umfangreiche Patientenaufklärung“, sagt Dr. Lenz. Und wenn „Alfred“ mal mitten in der OP ausfallen würde? Zum einen ist der Roboter online mit dem Hersteller verbunden, zum anderen könnte das OP-Team auch sofort zur konventionellen Chirurgie zurückkehren.
Wie schnell das geht, zeigt sich auch an diesem Operationstag. Als der entfernte Darmteil aus dem Bauch der Patientin entnommen wird, geschieht dies durch einen kleinen Schnitt von Dr. Deeb. Dafür werden kurz die Roboter-Arme entfernt. Anschließend werden sie für die restliche Operation wieder mit wenigen Klicks angebracht. Das dauert kaum länger als der Wechsel eines Akkus bei Gartengeräten.
Die Patientin bekommt davon nichts mit. In ihrer Patientenakte wird man aber später hochauflösende Bilder von der OP sehen. Und das ist keine Science-Fiction mehr.
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