Ein einziger Satz löst besessene Spurensuche aus
Artikel vom 15.12.2021

Der Autor: Enno ter Vehn ist im Ammerland aufgewachsen und lebt jetzt in Köln. Bild: Christian Palm
Harte Kost legt Enno ter Vehn, der nahe Oldenburg aufgewachsen ist, in seinem Roman vor. Er verbindet die Zugfahrt in ein Kriegsgefangenenlager mit der Jugend in den 70ern in Norddeutschland.
Er wollte eine Lücke füllen. Das war die Absicht, als er sich ans Schreiben gemacht hat. „Nur der erste Satz ist wahr“, erklärt der Fachjournalist und Fotograf, der für sein Romandebüt das Pseudonym Enno ter Vehn gewählt hat. Und so will er auch hier genannt werden. „Vater ist zweimal gestorben“. Das war dieser reale Satz, der zur Grundlage der fiktiven Geschichte wurde.
Das Erbe
„Gelhof“ lautet der Titel des Buches. Es beginnt so: „1945 starb Gelhof das erste Mal, 36 Jahre danach habe ich ihn umgebracht.“ Zwischen diesen beiden Punkten auf der Zeitachse beschreibt Enno ter Vehn Situationen aus dem Leben von Gelhof Henken-Gräving und dessen Sohn Eggo. Der junge Mann erbt von seinem Vater – neben Schulden – einen Satz, der eine besessene Suche auslöst.
Dieser Satz stammt aus der Zeit in der Kriegsgefangenschaft, über die Gelhof immer geschwiegen hatte. Der Sohn versucht, seinem Vater auf die Spur zu kommen. Er stellt fest, dass der zwar nicht über seine schrecklichen Erlebnisse geredet, aber geschrieben hat. Der Vater, ein Volksschüler, hatte auch geforscht – im Ammerland und in Oldenburg. Er hinterlässt nun viele Wörter – und Rätsel.
Sein eigener Vater sei mit 17 Jahren im Zweiten Weltkrieg als Soldat eingezogen worden, berichtet Enno ter Vehn. Davon und von der Kriegsgefangenschaft habe er jedoch nie erzählt. „Über meine Mutter habe ich erfahren, dass er schon mal gestorben ist und in der Kriegsgefangenschaft auf einem Leichenberg gelegen hat. Nur im Nebensatz.“ Seither hatte es in Enno ter Vehn, Jahrgang 1963, gearbeitet. Er fing an, ein Buch darüber zu schreiben, was passiert sein könnte. Dafür hat er intensiv recherchiert, ein Jahr in der Stadtbibliothek Köln. In Köln lebt der 58-Jährige, der aus dem Ammerland stammt.
Die Wissenslücke
Enno ter Vehn erzählt nicht die persönliche Geschichte seines Vaters, sondern eine als Beispiel von vielen Schicksalen nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Figur des Eggo spiegelt sich die Generation der Kinder wider, also die Geburtsjahrgänge der 60er Jahre, zu denen er selber gehört. Sein Grundgedanke: „Eggo/Wir standen vor der Welt aus Erwachsenen, von denen wir nichts wussten.“ Besonders bezieht er das auf die Region: „In den 70er Jahren konnten wir den Eindruck haben, dass die Nazi-Zeit nicht hier stattgefunden hat, sondern woanders.“
Der Oldenburger Florian Isensee, in dessen Verlag das Buch erschienen ist, weiß: „Die regionale Aufarbeitung dieser Zeit kam erst später. In den 90er Jahren nahm sie Fahrt auf. Heute gibt es viel regionale Literatur zum Thema.“
Die Orte
Für seinen Roman hat sich Enno ter Vehn den Ort Adefehn im Ammerland ausgedacht. „Stellvertretend für jeden Ort, an dem das braune Gedankengut schnell gelebt wurde“, sagt er. Hauptspielorte sind: ein Waggon mit 45 Kriegsgefangenen auf dem Weg in ein russisches Lager im September 1945 sowie in den 70er Jahren ein Dachboden mit Guckloch ins Badezimmer eines Dorfbewohners. Der Autor schildert, was sich Menschen in extremen Situationen antun können. Viele Details sind nur schwer zu ertragen.
„Ich habe das nicht gemacht, um zu schockieren“, betont ter Vehn. „Sondern aus dem Gefühl, der Realität gerecht werden zu wollen.“ Dafür habe er viele Dokumente aus der Zeit gelesen. „Die Wirklichkeit war noch schlimmer.“
Das Buch „Geldhof“ von Enno ter Vehn, ISBN 978-3-7308-1804-6, hat 160 Seiten und kostet 19,90 Euro.
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