„Ein Schlaganfall zeigt sich nicht nur durch Lähmungen“
Artikel vom 02.11.2022

Leidet unter kognitiven Einschränkungen nach einem Schlaganfall: Hannelore Niemann aus Harpstedt. Bild: Lena Hruschka
Im März 2017 hatte Hannelore Niemann aus Harpstedt einen Schlaganfall. Besonders leidet sie unter den kognitiven Einschränkungen, denn die stoßen in der Außenwelt oft auf Unwissen und Unverständnis.
„Ich kämpfe dafür, dass das Thema Schlaganfall viel mehr an die Öffentlichkeit gebracht wird“, sagt Hannelore Niemann aus Harpstedt. Im März 2017 hatte sie einen Schlaganfall. Seitdem ist nichts, wie es einmal war.
„Als ich nachts aufgestanden bin, habe ich gemerkt, dass eine Gesichtsseite von mir etwas hängt. Da habe ich mir aber noch nicht viel bei gedacht“, erzählt sie. Erst am nächsten Abend machte eine Bekannte sie darauf aufmerksam, dass sie „komisch“ aussehe und zum Arzt gehen solle. Dieser stellte schließlich den Schlaganfall fest.
Zu lange gewartet
Während des Reha-Aufenthalts merkte die heute 62-Jährige, dass sie einfache Formulare auf einmal nicht mehr versteht. Auch das Schreiben und Lesen fällt ihr schwer: „Ich hatte anfangs Lähmungen. Die sind unter anderem durch die Krankengymnastik wieder weggegangen. Viel schlimmer sind die kognitiven Einschränkungen. Die Ärzte haben mir direkt gesagt, dass das auch nicht mehr wiederkommt – weil ich 15 Stunden gewartet habe, bis ich zum Arzt gegangen bin“, erzählt die Harpstedterin.
Die Ärzte sollten Recht behalten: Auch heute braucht Niemann viel Hilfe. „Natürlich möchte ich mein altes Leben wieder, aber das bekomme ich leider nicht zurück“, erzählt sie. „Wenn ich eine Geburtstagskarte schreiben möchte, dann habe ich zwar die Wörter im Kopf, aber ich bekomme keine Sätze mehr hin. Wenn ich Post bekomme, dann kann ich zwar zwei bis drei Sätze lesen, ich verstehe jedoch den Sinn nicht“, beschreibt sie.
Ein großes Problem sehe Niemann in der Unwissenheit anderer Menschen: „Viele denken, dass man jemandem den Schlaganfall ansieht. Das ist allerdings nicht immer so. Es ist wichtig, zu wissen, dass die kognitiven Einschränkungen von Menschen mit einem Schlaganfall gravierend sind“, meint Niemann.
Unwissenheit zeigte sich
Die Unwissenheit zeigte sich bereits in mehreren Situationen: „Kurz nach meinem Schlaganfall musste ich ein Telefongespräch führen. Ich konnte allerdings meine Sätze nicht finden. Mein Gegenüber am Telefon sagte nur zu mir, ich solle doch bitte erst meinen Rausch ausschlafen und mich dann wieder melden.“
Heute sei Niemann soweit, dass sie den Menschen erklären kann, wieso sie sich so verhalte: „Ein Schlaganfall äußert sich immer anders. Das sind nicht nur Lähmungen.“ Niemann vergleicht die kognitiven Ausfallerscheinungen mit denen, die sich auch bei vielen Long-Covid-Patienten und -Patientinnen bemerkbar machen.
Kostet Energie
Die Harpstedterin gründete eine Selbsthilfegruppe, in der sich Gleichgesinnte austauschen können. Außerdem gehe die 62-Jährige viel auf Seminare: „Darin finde ich meinen Halt und das gibt mir Kraft. Die Außenwelt kostet sehr viel Energie.“
Der Weltschlaganfalltag bedeute Niemann sehr viel: „Es ist wichtig, dass das Thema Schlaganfall mehr in die Öffentlichkeit gebracht wird. Die Menschen müssen wissen, dass Schlaganfallpatienten sehr darunter leiden und wir eben nicht betrunken oder blöd, wie es vielleicht im ersten Moment scheint, sondern krank sind.“
Das ganze Interview mit Hannelore Niemann gibt es im Internet in einem Videobeitrag auf YouTube/NordwestTV.
Am 29. Oktober ist der Weltschlaganfalltag. Er soll das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Erkrankung und Präventionen stärken.
Zu einem Schlaganfall kommt es in den meisten Fällen, wenn ein Blutgefäß im Gehirn durch ein Blutgerinnsel verschlossen wird. Dadurch wird das Gehirn nur noch mit wenig Sauerstoff versorgt.
Die häufigsten Symptome sind Seh-, Sprach- und Sprachverständnisstörungen sowie Lähmungen, Taubheitsgefühl, Schwindel und starke Kopfschmerzen.
In Deutschland erleiden laut Schlaganfall-Hilfe pro Jahr circa 270 000 Menschen einen Schlaganfall.
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