Kurzes Familientreffen in Hatten
Artikel vom 10.05.2023

Kurzes Wiedersehen nach einem Jahr: Olesia Shynkliar (hinten, Mitte) mit ihren Kindern Vitali, Anastasia und ihrer Mutter Svetlana. Bild:Werner Fademrecht
Eine gemeinsame Woche in der Gemeinde Hatten: Mehr Zeit bleibt Olesia Shynkliar nicht für ihre Kinder. Die Ukrainerin muss wieder zurück in das von der russischen Armee überfallene Land.
Ihre Lockenwickler versteckt Anastasia (9) für das Foto lieber unter der Kapuze. Nur noch wenige Stunden, dann wird sie mit elf anderen Kindern in der katholischen Kirche St. Ansgar in Sandkrug die Erstkommunion erleben – im weißen Kleid mit schönen, langen, dunkelbraunen Haaren. Ihre Gedanken und Gefühle aber, die sind in diesem Moment ganz woanders. Keinen Zentimeter weicht sie Olesia Shynkliar (36) von der Seite. Die 36-Jährige ist ihre Mutter und vor wenigen Tagen erst nach Sandkrug gekommen. Ein Jahr lang haben sich die beiden nicht mehr umarmen können.
Sirenen machen Angst
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat alles für die Familie Shynkliar geändert. Die Eltern, Olesia und Oleg, dienen beide in der Armee. Sie im medizinischen Bereich, er – in Friedenszeiten Elektriker – als Panzerfahrer an der ostukrainischen Front. Sie sehen sich selten. Erst nach seinen Einsätzen ruft Oleg seine Frau an und erzählt ihr etwas, damit sie sich nicht zu viele Sorgen macht.
Ihre beiden Kinder, Tochter Anastasia und Sohn Vitali (13), sind mit Oma Svetlana Dudar (57) unmittelbar nach Kriegsausbruch in Deutschland in Sicherheit gebracht worden. Zu dritt leben sie seitdem in einer kleinen Wohnung über dem Kiosk Lüning am Voßbergweg in Hatterwüsting.
An der Wand der guten Stube, die nachts auch als Schlafzimmer für Oma und Enkelin dient, hängt eine Urkunde. Vitali ist 2022 in Wardenburg Jugendkönig des Fischereivereins geworden, steht darauf. Er besucht die Waldschule, spielt in seiner Freizeit gerne Badminton, erzählt seine Oma. Auch Anastasia, die zur Grundschule Sandkrug geht, ist sehr sportlich, turnt gut und spielt Tischtennis.
„Es ist gut hier in Deutschland“, sagt Svetlana Dudar. Hier gebe es viele hilfsbereite Menschen. Aber auch sie weiß, dass sie ihren Enkeln Mutter und Vater nicht ersetzen kann. Wenn draußen Sirenen zu hören sind, sei die Angst der Kinder sofort zu spüren. Zu tief sitzen die Eindrücke aus den ersten Kriegstagen.
Nur sieben Tage Zeit
Jeden Tag telefoniere sie mit ihren Kindern, manchmal auch mehrfach, erzählt Olesia Shynkliar. Die Tränen in den Augenwinkeln kann sie dabei nicht verbergen. Um bei der Erstkommunion ihrer Tochter dabei zu sein, musste sie offiziell Urlaub beantragen. Mehr als eine Woche wurde ihr von den Vorgesetzten nicht genehmigt, und weil selbst diese sieben Tage bis kurz vor der Abreise nicht sicher waren, erfuhren ihre Kinder erst gegen Mitternacht, wer da mit dem Flixbus am Oldenburger Hauptbahnhof anreiste. Im Gepäck: das kleine weiße Kleid, das schon Anastasias Cousine bei der Erstkommunion getragen hatte, außerdem ein Paar Ohrringe für Anastasia und eine Halskette mit dem Symbol der Ukraine für Vitali.
Einen Tag nach der Kommunion, heißt es bereits wieder, Abschied zu nehmen. Wann sie ihre Kinder wieder in die Arme nehmen kann, darüber möchte Olesia lieber nicht nachdenken. „Ich hoffe wie so viele andere Menschen, dass der Krieg in diesem Jahr enden wird. Aber wir wissen es einfach nicht.“
Wichtig ist für sie vor allem eines: Dass ihre beiden Kinder möglichst ohne Angst aufwachsen, ihre Seele keinen Schaden nimmt. Ohne die Hilfe der Deutschen, aber auch ohne die Hilfe der eigenen Mama sei das alles nicht möglich. „Danke. Danke dafür“, sagt sie.
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