Fynn Ahrens ist endlich im richtigen Körper zu Hause
Artikel vom 15.06.2022

Ein Leben als Transmann: Endlich ist Fynn Ahrens mit sich und seinem Körper im Reinen. Bild: Ingo Möllers
Der Delmenhorster Fynn Ahrens wurde im falschen Körper geboren. Ihn hat das so sehr belastet, dass er einen langen und beschwerlichen Weg gegangen ist, um als Transmann zu leben.
Fynn Ahrens war nicht immer Fynn. Als der 34-jährige Delmenhorster geboren wurde, gratulierte der Arzt seiner Mutter zu deren Tochter. „Anhand meiner Geschlechtsteile wurde mir das weibliche Geschlecht zugeteilt“, sagt Ahrens. Zugeteilt. Er formuliert es bewusst so. „Wir leben in einer Zweigeschlechtergesellschaft, in der es nur Frauen und Männer gibt. Die wenigsten kommen darauf, dass das Geschlecht etwas Valides ist“, erklärt er. Er würde sich wünschen, dass das angeborene Geschlecht zunächst keine Rolle spielt – dass man Kinder einfach so nimmt, wie sie sind, ohne sich um ihr Geschlecht zu kümmern. Damit sich später jeder selbst entscheiden kann, wie oder wer man sein möchte. In Ahrens’ Leben hätte das einen Unterschied gemacht.
„Ich habe mich nie als Mädchen gefühlt. Ich habe mich auch nicht so angezogen und hatte keine für Mädchen typischen Hobbys. Schon im Kindesalter habe ich mir gewünscht, dass ich so sein könnte wie die anderen Jungs, mit denen ich gespielt habe“, erinnert sich Ahrens. In der Pubertät, mit etwa 15 Jahren, schloss er mit sich selbst einen Kompromiss: „Ich würde als burschikose, lesbische Frau leben.“ Sein Coming-out seiner Mutter gegenüber, das er mit schlimmsten Vorahnungen vom Rausschmiss bis zur Enterbung anging, entpuppte sich als problemlos. „Meine Mutter sagte nur ,Ja, schön‘ und bat mich, ihr aber meine Freundinnen auch vorzustellen“, erzählt Ahrens.
Mobbing und Angriff
In der Welt außerhalb seines Zuhauses sah das anders aus. In der Schule erlebte er Mobbing. Auch im Alltag wurde er von „schiefen Blicken“ und „dummen Sprüchen“ begleitet. Mit einer Partnerin Händchen haltend durch die Stadt zu laufen, fiel ihm schwer – die Angst, angegriffen zu werden, war groß. Zu Recht, wie sich herausstellte. Eines Abends saß er mit einer Freundin in einem Schnellrestaurant beim Essen. Am Nebentisch, so schildert er es, nahmen drei junge Männer Platz. Sie begannen, Ahrens zu mustern und zu bepöbeln.
„Ich habe dem Personal Bescheid gegeben, und die Männer wurden des Restaurants verwiesen“, erzählt er. Nachdem Ahrens und die Freundin aufgegessen hatten, verabschiedeten sie sich und gingen getrennter Wege. Da tauchten die Männer wieder auf und zogen ihn in eine dunkle Gasse. Zwei von ihnen hielten Ahrens fest, der dritte sagte: „Jetzt wollen wir mal sehen, was Du in der Hose hast.“ Er begann damit, Ahrens in die Hose zu greifen – da kam ihm ein Pärchen zu Hilfe.
Auf der anderen Seite lernte er mehr und mehr eine Gemeinschaft kennen, in der er sich nicht fremd oder anders fühlte. Als er zwischenzeitlich in Oldenburg lebte, nahmen ihn Freunde zum Christopher Street Day und auf Gay-Partys mit. „Das war für mich ein Gefühl von Zuhause. Da war ich von Menschen umgeben, die genauso waren wie ich. Da war auch ein Gefühl der Sicherheit. Ich war nicht allein“, erinnert er sich.
Und doch: Etwas fehlte. Etwas war einfach nicht richtig. Für Ahrens war es der eigene Körper. Schon die Tatsache, dass er – wie die meisten Transmenschen – auch rückblickend nicht mit dem weiblichen Personalpronomen bezeichnet werden möchte und seinen Geburtsnamen auf keinen Fall veröffentlicht wissen will, zeigt, wie falsch und belastend sein weiblicher Körper für ihn gewesen sein muss. Und so entschied er Anfang 2020: Er wollte endlich ein Mann sein. Ein Transmann. „Das Transsein beinhaltet nicht zwingend einen hormonellen oder operativen Eingriff. Man beschließt es für sich“, erklärt Ahrens.
Ein zweites Outing
Für ihn bedeutete sein Entschluss ein zweites Outing. „Da war meine Mutter nicht mehr ganz so cool. Sie hat sich Sorgen gemacht, dass mein Leben dadurch noch schwerer werden und ich noch mehr Ausgrenzung und Anfeindungen erleben würde“, erzählt er. Doch er war entschlossen und ließ seine Mutter bei der Namensfindung mitentscheiden. So wurde er Fynn.
Es sollte für ihn aber nicht bei diesem Entschluss bleiben. Er wollte fühl- und sichtbar ein Mann werden. Dafür durchlief er einerseits einen äußerst bürokratischen und teils herabwürdigenden juristischen Weg. Dazu gehörten ein mehrere Tausend Euro teures Gerichtsverfahren und Gutachtertermine, bei denen ihm unter anderem Fragen zu seinen sexuellen Präferenzen und seiner Unterwäsche gestellt wurden. „Das habe ich als äußerst übergriffig empfunden – zumal all das mit dem Transsein nichts zu tun hat“, sagt er.
Neben dem juristischen beschritt Ahrens den medizinischen Weg. Eine psychologische Begleittherapie soll dabei sicherstellen, dass keine Fehlentscheidung getroffen wird. Denn nach einem operativen Eingriff gibt es kein Zurück. Außerdem ist eine derart tiefgreifende Veränderung des eigenen Seins eine Erfahrung, die mit vielen schwierigen Emotionen verbunden ist.
Ahrens fand eine Therapeutin, die schon einige Transmänner auf diesem Weg begleitet hatte. Im Oktober 2020 begann er dann die hormonelle Behandlung. „Die Veränderungen kamen schnell. Meine Stimme wurde tiefer, meine Körperbehaarung mehr, die Gesichtszüge wurden markanter, und es fand eine Fettumverteilung statt. Meine Schultern wurden breiter. Ich fühlte mich wie in einer zweiten Pubertät, und jedes Barthaar habe ich gefeiert“, berichtet er.
Im August 2021 folgte der operative Eingriff. Er beinhaltete die Amputation der weiblichen Brust und die Rekonstruktion einer männlichen Brust. Zudem wurden die Gebärmutter, Eileiter und Eierstöcke entfernt, damit Ahrens’ Körper kein Östrogen mehr produziert. „Der Eingriff war komplikationsfrei, aber die Heilung hat lange gedauert“, erzählt er, und weiter: 2Drei Tage nach der Operation durfte ich das Ergebnis betrachten und habe geheult wie ein Schlosshund. Die Erleichterung war so groß. Endlich stecke ich im richtigen Körper. Endlich kann ich mit einem guten Gefühl schwimmen gehen, oben ohne laufen und mich frei fühlen.“
Frieden gefunden
Abgesehen davon, dass er sein Leben lang Hormone zu sich nehmen muss, ist damit für Ahrens die Transition abgeschlossen. Er ist nun mit sich und seinem Körper im Reinen. Er hat seinen Frieden gefunden. „Mittlerweile habe ich auch keine Angst mehr, allein durch dunkle Gassen zu gehen“, sagt er. Dennoch spürt er, dass es in der Gesellschaft noch immens an Toleranz und Aufklärung mangelt. Er sagt: „Ich wünsche mir, dass es keine Rolle spielt, woher man kommt, wie man aussieht, wen man liebt und wie man leben möchte. Ich wünschte, jeder könnte so leben und lieben, wie er will, ohne dass jemand seinen unqualifizierten Senf dazu gibt.“
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