Warum das Landesturnfest auf der Kippe stand
Artikel vom 24.05.2023

Viel Erfahrung: Scon seit 50 Jahren ist Lutz Alefsen, Vize-Präsident des Niedersächsischen Turner-Bundes, bei Turnfesten dabei. Bild: Christoph Kiefer
Seit Jahrzehnten besucht Lutz Alefsen Turnfeste. Das in Oldenburg sei ganz besonders, sagt der Vize-Präsident des Turner-Bundes. Nicht nur, weil das Fest für den Ammerländer ein Heimspiel ist. Es geht um die Zukunft der Großveranstaltung.
Oldenburg - Seit 50 Jahren fährt Lutz Alefsen zu Turnfesten. „1973 war das erste Mal, ich war damals 16 Jahre“, erinnert sich der 67-Jährige. Dass er nicht schon vorher zu den großen Treffen gekommen ist, hat einen einfachen Grund: „Damals waren Landessturnfeste erst ab 16 Jahren freigegeben.“ Erst später hat die Verbandsspitze auch Jugendliche zugelassen – „mit weitreichenden Folgen für die Altersstruktur der Besucher und für das Programm“, macht der Vizepräsident des Niedersächsischen Turner-Bundes mit Blick auf die Zahlen deutlich: Jugendliche stellen beim Erlebnisturnfest in Oldenburg die Hälfte der Besucher. „Ein Konzert wie den Auftritt des Teenie-Stars Leony wie am Freitagabend planen wir nicht für die Älteren.“
Verbandsspitze atmet auf
Ein Dutzend Landesturnfeste hat Alefsen, der aus Apen stammt und in Hundsmühlen lebt, mitgefeiert. Wie viele es noch sein werden, ist nicht nur eine Frage des Alters. Schon dass die Veranstaltung in Oldenburg über die Bühne geht – und zwar reibungsloser und stimmungsvoller als erwartet – ist nicht selbstverständlich. „Zwei Wochen vor Meldeschluss hatten wir gerade mal 4600 Anmeldungen“, erinnert sich der Turner-Bund-Vize. „Schon Göttingen mit nur 9000 Anmeldungen war ein Tiefpunkt.“ Es war offen, ob das Turnfest mit einer solch niedrigen Zahl an Teilnehmer überhaupt stattfinden kann. Doch dann kamen die Meldungen zuhauf. „Uns fiel ein Stein vom Herzen.“ Mit 10.000 Teilnehmenden, die sich schließlich anmeldeten, konnte die Verbandsspitze aufatmen. „Es ist klar: Es gibt eine Untergrenze, ab der sich der Aufwand nicht mehr lohnt.“ Das Präsidium sieht 6000 als Minimum an. In den Hochzeiten kamen 15.000 und mehr.
Zukunft bislang offen
Wie geht es weiter? Niedersachsen ist eines der wenigen Bundesländer, die noch Landesturnfeste ausrichten. Alefsen ist vorsichtig optimistisch, dass es hier weiter Erlebnisturnfeste geben wird. „Wir haben zunächst abgewartet, wie Oldenburg läuft“, sagt der Verbandsvize. „Keiner weiß, ob es jetzt wieder aufwärts geht – oder ob die Zeit über solche Großveranstaltungen hinweggegangen ist.“ Die nächste Auflage in vier Jahren hat der Niedersächsische Turner-Bund bislang noch nicht vergeben. Selbst das Deutsche Turner-Fest in Leipzig sei kein Selbstläufer mehr und kämpfe mit rückläufigen Teilnehmerzahlen. Sportfeste auf Bezirksebene, die früher verbreitet waren, gebe es heute kaum noch. „Möglicherweise wollen sich Menschen weniger gern im Voraus für fünf Tage fest an eine Veranstaltung binden.“ Es gebe immer wieder Anfragen von Sportlern, die nur an einem Tag zu Wettkämpfen anreisen wollen. „Bisher lassen wir das ungern zu und werben, doch den gesamten Zeitraum zu kommen.“
Eher Unterhaltung
Wettkämpfe – das ist ein weiteres Stichwort, das den Wandel der Turnfeste markiert. „Früher waren diese Treffen von Wettkämpfen geprägt“, sagt Alefsen. „Heute geht es mehr um Unterhaltung.“ Junge Menschen seien begeistert, dass sie so viel ausprobieren können. „Beim Rhönradfahren beispielsweise war die Halle picke packe voll“, berichtet Alefsen, „alle wollten da mal drauf“. Ebenso sei es beim Faustball, der zwar in der Region Oldenburg einen hohen Stellenwert habe. „Aber viele wissen gar nicht, was das ist“, sagt Alefsen, der als Deutscher Meister im Kanupolo und Vizemeister im Drachenbootfahren selbst in Randsportarten erfolgreich war. Der gebürtige Ammerländer war Lehrer in Berne und Trainer und Sportler im TUS Warfleth.
Sportstadt Oldenburg
Oldenburg sei als Stadt des Breitensports und besonders des Turnersports ein toller Austragungsort für das Turnfest. Die Universität spiele mit dem früheren Sport-Pionier und heutigen Ehrenpräsidenten des Deutschen Turner-Bundes Jürgen Dieckert eine Vorreiterrolle im Breitensport. Die „zentrale Meile“ zwischen Weser-Ems-Hallen, Innenstadt und Marschwegstadion verbinde die drei wichtigsten Veranstaltungsorte. Dass der Schlossgarten – sonst für Großveranstaltungen tabu – für einzelne Programmpunkte mitgenutzt werden könne, werte das Erlebnissportfest auf. Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit muss der Turner-Bund bei der Digitalisierung leisten. Erstmals gab es kein gedrucktes Programmheft. „Wir verweisen auf den vollständigen Kalender auf unserer Homepage“, sagt Alefsen. „Aber gerade Ältere finden das vielfach nicht gut.“ Einen zunehmenden Erfolg verzeichnet die Geschäftsstelle bei der Online-Anmeldung. „Wir bieten eine schriftliche Registrierung zwar noch an. Aber seit wir für den zusätzlichen Aufwand eine kleine Bearbeitungsgebühr erheben, ist die Nachfrage auf nahezu null zurückgegangen.“
Weitere interessante Artikel