Sechseinhalb Jahre nach der Flucht hat er den Gesellenbrief in der Tasche
Artikel vom 05.08.2022

Teamarbeit: Majed Kousa und „Oma“ Babette Prestien vor dem Küchengeschäft, in dem der frisch gebackene Geselle unter Vertrag steht. Bild: Schuurman
Die Famlie Kousa hat sich in Emden ein Leben aufgebaut. Sechseinhalb Jahre liegt die Flucht von Aleppo zurück. Wie es gelang, dass die Familie ankam und nun zu Ostfriesen werden will.
Majed Kousa hat es geschafft. Der 28-Jährige hat eine Frau, drei Kinder und jetzt auch noch den Gesellenbrief als Fachkraft für Möbel-, Küchen- und Umzugsservice. Und mit seinem Chef wurde er sich auch schnell einig über einen Anschlussvertrag, schließlich arbeitet er bei Küchen Ruberg schon seit vier Jahren und fühlt sich dort „sehr wohl“, wie er sagt.
Sechseinhalb Jahre zurück: Mit seiner Frau Hivin Ahmad, seinen beiden Schwestern und einem nur einen Monat alten Baby seiner Schwester flüchtete der Kurde aus Haleb (Aleppo) über die syrisch-türkische Grenze und dann im Schlauchboot weiter übers Mittelmeer auf eine griechische Insel. Welche das war, daran erinnert sich Majed Kousa heute nicht mehr. Nur, dass sie alle Glück hatten, weil der „Kapitän“ sich wohl ganz gut auskannte. Über viele Wochen und bis dato unbekannte Wege führte die Flucht bis nach Emden. Ein halbes Jahr Camp in Barenburg und Unterbringung im Haus am Delft, inzwischen lebt die Familie in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung im Herrentor.
Perfektes Deutsch
Die mit der Flucht-Odyssee verbundenen Strapazen haben für Majed Kousa und seine Familie längst ein Ende gefunden. Spätestens, seitdem ihr erstes gemeinsames Kind geboren wurde, und erst recht, nachdem der junge Familienvater nun auch noch seine Ausbildung abgeschlossen hat. Dabei war auch die Zeit nach dem Ankommen in Emden keine leichte.
Da war zunächst das Deutschlernen. Schon während der Camp-Zeit nutzten Majed und Hivin Angebote der Arbeiterwohlfahrt und der Volkshochschule, erwarben sich neben den Orientierungskursen auch diverse Sprach-Zertifikate. „Ohne perfektes Deutsch würde es nicht funktionieren“, sagt Majed voller Überzeugung. „Das gehört dazu.“
Hilfe im Alltag
Heute spricht Majed fast akzentfrei Deutsch, allenfalls ein kleiner, beinahe französischer Einschlag klingt durch, wenn man ihm zuhört. Ob es an der arabischen Herkunft liegt oder womöglich an der jahrelangen Unterstützung, bleibt unklar. Fest steht, dass die Familie Kousa mit Elisabeth Prestien, genannt Babette, Französin und ehemalige Lehrerin des Gymnasiums am Treckfahrtstief, tatkräftige Integrationshilfe hatte. Die Fremdsprachenlehrerin half zweimal in der Woche bei der Emder Organisation für Flüchtlinge, YOUgend integrate, mit, um die Deutschkenntnisse von Menschen aus verschiedenen Ländern zu erweitern. Dabei freundete sie sich mit der Familie Kousa an, wie sie sagt. Half bei der Bewältigung der Alltagsprobleme. „Ohne Hilfe bei Gängen zur Verwaltung, zu Ärzten et cetera gelänge die Integration nicht so gut.“
Neuankömmlinge unterstützen
Inzwischen betrachtet sich Babette Prestien „ein bisschen wie die Oma“ der Familie. Und die wird auch dringend gebraucht. Nach der Geburt von Wassim vor fünf Jahren kamen noch Mila (2) und Liam (1) in Emden beziehungsweise Leer zur Welt. Drei kleine Kinder, für die endlich ab August Kita- und Krippenplätze in der Roten Mühle und im Grünen Baum zugesagt sind. Bis dahin stand Mama Hivin aber ziemlich allein da mit den drei Kleinen. Vater Majed startete mit Praktika bei einer Werft in Ditzum und in einer Tischlerei, einer einjährigen Einstiegsqualifizierungs-Maßnahme vom Jobcenter bis eben über die dreijährige Ausbildung beim Küchenbauer in seine berufliche Karriere.
Neben „Oma“ Babette bleibt YOUgend integrate eine feste Adresse. Einmal monatlich treffen sich die Kousas mit anderen Geflüchteten zum Sporttreiben und Kaffeetrinken in der ETV-Halle. Und längst hilft Majed dort selbst mit. Etwa, wenn neue Flüchtlinge aus dem arabischen Raum in Emden ankommen. Dann steht er mit seinen Sprachkenntnissen in Kurdisch und Arabisch und natürlich auch in Deutsch zur Verfügung.
Hoffnung auf größere Wohnung
Und jetzt steht für die Familie Kousa noch ein neues Projekt auf dem Plan. Schon 2018 haben die beiden Eltern den Einbürgerungstest mit voller Punktzahl geschafft – was nicht unbedingt jeder Deutsche schaffen würde. Mit dem festen Job und Gesellenbrief im Rücken will Majed jetzt den formalen Antrag zur Einbürgerung im Bürgerbüro stellen. „Schließlich wollen wir auch in Emden bleiben.“
Dass die fünfköpfige Familie dabei immer noch in der Zwei-Zimmer-Wohnung in Emden lebt, ist schwierig. Aber auch da wird es jetzt mit seinem festen Job eine Lösung ergeben, hofft Majed. Nach sechseinhalb Jahren ist die Familie auf jeden Fall endlich sicher in Emden angekommen.
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