Wer trotz Job und Vermögen einen Heizkosten-Zuschuss erhält

Artikel vom 21.09.2022

Anuschka Kramer

Hohe Heizkosten-Nachzahlungen drohen. Wer zur unteren Mittelschicht zählt, könnte aber tatsächlich hier Hilfe vom Staat bekommen – trotz Vermögen. Bild:  Gerd Altmann auf Pixabay 

Wer zur unteren Mittelschicht gehört, zählt sich eigentlich nicht zu denjenigen, die zusätzlich Geld vom Amt bekommen können. In Sachen Heizkosten-Nachzahlung ist das aber sehr wohl möglich.

Der Energiekrise und Inflation werden Entlastungspakete entgegengestellt, das Internet wird quasi von Heiz- und Stromspartipps überflutet – doch reicht das für die Menschen in Ostfriesland? Den Familien im Landkreis Leer? Den Singles in Wittmund? Den Paaren im Landkreis Aurich oder der alleinerziehenden Mutter in Emden?

Wer einen festen Job hat, bisher gut über die Runden kam und immer über der Grenze lag, um Geld vom Staat zu bekommen, der sorgt sich derzeit. Ob Floristen, Kaufleute im Einzelhandel, Fachverkäufer für Lebensmittel, Arzthelfer, Mitarbeiter im Callcenter, Hotelfachangestellte oder vielleicht auch Physiotherapeuten – sie gelten nicht bei weitem nicht als bedürftig, zahlen ihre Miete, ihr Essen, kleinere Anschaffungen, haben vielleicht auch ein eigenes Haus, eine Wohnung, kümmern sich um die Altersvorsorge. Angesichts der hohen Energiekosten droht ihnen jedoch nun, die Rechnung am Ende des Heizjahres nicht mehr zahlen zu können.

Und dann?

Michael Kläsener, Leiter des Zentrums für Arbeit in Leer, weiß: Wer am Ende des Jahres nicht mehr mit dem Geld hinkommt, der kann Hilfe beantragen. So gilt für Haushalte, die kein Hartz IV oder Sozialhilfe erhalten, dass eine Heizkosten-Nachforderung von Energieversorger oder Vermieter je nach Einkommen, Größe der Familie und Besitz bezuschusst werden.

Ist das auch möglich, wenn ich etwas Vermögen habe?

Klar. Laut Kläsener gibt es Freibeträge für Vermögen und Besitz. Dem sogenannten Haushaltsvorstand werden 60.000 Euro Vermögen gewährt, allen anderen Familienmitgliedern je 30.000. Bedeutet: Eine Familie mit zwei Kindern hat einen Freibetrag von 150.000 Euro.

Im Fachjargon ließe sich nun erklären, wie wo was wann und warum nun berechnet und berücksichtigt werden müsste und könnte – doch einfacher ist da wohl mal eine Musterrechnung, die der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles aufgestellt und – das ist wichtig – Ende August vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat bestätigen lassen.

Wie sieht diese Musterrechnung aus?

Ein Ostfriese verdient in dieser Rechnung als Krankenpfleger 2300 Euro Brutto und erhält 1827 Euro Netto ausbezahlt. Seine Miete liegt bei 700 Euro warm plus Heizung. Dann flattert ihm eine Heizkostennachzahlung in Höhe von 1000 Euro ins Haus.

Aber: Unser Ostfriese muss diese Rechnung nicht komplett begleichen. Dafür wird vom Nettoeinkommen erst einmal ein 100 Euro hoher Grundfreibetrag und ein 200 Euro hoher Erwerbstätigenfreibetrag abgezogen, bleiben 1527 Euro, die als sogenanntes anrechenbares Einkommen zählen.

Diese Summe wird nun mit dem so genannten Sozialrechtlichen Bedarf gegengerechnet, dieser liegt bei unserem Ostfriesen als alleinstehender Erwachsener bei 449 Euro. Es werden die 700 Euro-Miete und die 1000-Euro-Nachzahlung addiert, was unterm Strich 2149 Euro macht. Von dieser Summe muss unser Ostfriese dann die 1527 Euro anrechenbares Einkommen abziehen. Es bleibt ein Minus von 622 Euro. Eine Summe, die nun nach den Vorgaben der Sozialhilfe tatsächlich vom Amt übernommen wird.

Ist bei allen Singles, Paaren und Familien die Rechnung so einfach?

Nein, denn oft spielen noch weitere Faktoren mit rein, auch eine Alleinerziehende oder Schwangere werden beispielsweise in dem System noch einmal ganz anders betrachtet als eben unser ostfriesischer Single. Wichtig ist jedoch, dass der Antrag sofort, sobald die Nachzahlungsforderung im Briefkasten landet, gestellt wird. Dafür bedarf es alle Unterlagen, um den Anspruch zu bewerten und auch Betrug auszuschließen und alles prüfen zu können.

Lohnt sich vielleicht auch ein Wohngeldantrag?

Wer glaubt, unter die Grenzen zu fallen, sollte es unbedingt prüfen lassen. Das gilt auch und insbesondere für Senioren mit kleinerer Rente, selbst wenn sie eine Wohnung oder ein Haus besitzen, selbst wenn es viele Quadratmeter hat oder etwa die Miete ihrer Wohnung besonders hoch ist. Das kann sich vor allem auch für Witwen mit geringen Bezügen rechnen. Hier helfen bei der ersten Beratung auch die Senioren- und Pflegestützpunkte der Landkreise Leer, Aurich und Wittmund sowie der Stadt Emden weiter.

MUSTERRECHNUNG

Bei der Musterrechnung des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles geht die Rechnung für unseren Ostfriesen wie folgt: Das Einkommen liegt bei 2.300 Euro Brutto und 1.827 Euro Netto, die Miete bei 700 Euro warm, die Heizkostennachzahlung bei 1000 Euro.

Der Sozialrechtliche Bedarf nach SGB II berechnet sich wie folgt:  

449 Euro Regelbedarf

700 Euro Miete Heizung

1000 Euro Heizkostennachzahlung

macht unterm Strich:

2. 149 Euro Bedarf im Monat der Fälligkeit der Nachforderung

Dem wird gegenübergestellt:

1.827 Euro Nettoeinkommen

- 100 Euro Grundfreibetrag (§11b Abs. 2 SGB II)

- 200 Euro Erwerbstätigenfreibetrag (§11b Abs. 3 SGB II)

macht unterm Strich:

1.527 Euro anrechenbares Einkommen

Endrechnung:

2.149 Euro sozialrechtlicher Bedarf

- 1.527 Euro anrechenbares Einkommen

macht unterm Strich:

622 Euro Übernahmeanspruch nach SGB II


 

Blaulicht-Ticker

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