Ärger über antirussische Pöbeleien
Artikel vom 02.05.2022

Der Nordenhamer Leon Weiß hat russische und ukrainische Vorfahren. Bild: Jens Milde
Leon Weiß verurteilt Putins Angriffskrieg in der Ukraine. Für Pöbeleien gegenüber russischstämmigen Bürgern hat er kein Verständnis. Er berichtet von einem ziemlich unappetitlichen Fall.
An den Mahnwachen gegen den Krieg in der Ukraine, die jeden Sonntag in Nordenham stattfinden, hat Leon Weiß schon mehrfach teilgenommen. Es ist ihm wichtig, ein Zeichen für den Frieden zu setzen. Trotzdem hatte er es sich zunächst zweimal überlegt, an den Kundgebungen teilzunehmen. Er hat sich die Frage gestellt, wie die anderen reagieren, wenn er dort auftaucht. „Ja, ich war ziemlich verunsichert“, sagt der 23-Jährige.
Zwischenzeitlich habe er sich nicht einmal mehr getraut, russische Teigtaschen im Supermarkt zu kaufen. Der Grund: Leon Weiß hat russische Vorfahren – nicht nur, aber auch. Er kennt die russische Community in Nordenham. Und er wisse, dass sich einige Mitglieder dieser Gemeinschaft in den vergangenen Wochen erheblichen Ressentiments ausgesetzt fühlen.
Unappetitlich
Leon Weiß erzählt, dass seine Oma immer wieder angepöbelt wird. Er selbst fühle sich ständig verpflichtet, sich zu rechtfertigen, und fragt sich: Wofür eigentlich? Der Politik-Student berichtet außerdem von einem ziemlich unappetitlichen Fall in Abbehausen. Dort habe sich jemand auf der Kühlerhaube eines Autos erleichtert, das einer russischstämmigen Familie gehört.
Leon Weiß stellt klar: „Ich missbillige ausdrücklich Putins Angriffskrieg in der Ukraine.“ Der Nordenhamer, den viele als Juso-Vorsitzenden und Vorstandsmitglied des SPD-Ortsvereins kennen, bezeichnet die Invasion in der Ukraine als widerwärtig. Inzwischen befürwortet er auch, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert. „Das war zu Beginn noch anders. Aber mittlerweile sehe ich ein: Es gibt keine Alternative.“
Familiengeschichte
Dass der Krieg in der Ukraine den Nordenhamer ganz besonders bewegt, hängt mit seiner Familiengeschichte zusammen. 1996 sind seine Oma und sein Vater als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Seine Großväter kommen aus der Ukraine. Sein Onkel ist Russlanddeutscher, sein Cousin ebenfalls. Er hat mit seiner Partnerin in der Ukraine gelebt. Inzwischen sind die beiden ins polnische Warschau geflohen.
Leon Weiß setzt sich dafür ein, nicht alle Russen über einen Kamm zu scheren. Er wisse, dass es in der russischen Community in Deutschland durch das Staatsfernsehen manipulierte Putin-Anhänger gibt. Aber er wisse auch, dass viele russischstämmige Bürger in Deutschland den Krieg verurteilen. Auch in Russland gebe es viele Kritiker.
Leon Weiß gehört nicht zu den Menschen, die sich regelmäßig in den sozialen Medien äußern. Angesichts der zunehmend aufkeimenden Ressentiments gegenüber Russen ist ihm aber kürzlich der Kragen geplatzt. Bei Facebook hat er klar Stellung bezogen. Ein Auslöser seien die Worte des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk gewesen, dass alle Russen jetzt Feinde seien. „Bei allem Verständnis für die Verzweiflung der Ukrainer: Mit einer solch krassen Überspitzung wird nur Hass geschürt“, findet Leon Weiß.
Putin-Kritiker
Er selbst sei schon seit vielen Jahren Putin-Kritiker, macht der Nordenhamer deutlich. „Seine Innenpolitik kritisiere ich schon sehr lange.“ Er ärgere sich über Demokratiedefizite, Verhaftungen von Journalisten und Oppositionellen, Oligarchie und die Verfolgung der queeren Community.
Inzwischen sei seine Verunsicherung ein bisschen verflogen, sagt Leon Weiß. Für sein Statement bei Facebook habe er überwiegend positive Kommentare bekommen. Und bei den Mahnwachen zum Beispiel werde immer wieder darauf hingewiesen, dass sie sich nicht gegen die Russen, sondern gegen den Krieg wenden.
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