Mit dem Schlauchboot von Nordenham nach Swinemünde
Artikel vom 04.08.2023

Nach 51 Tagen legte Horst Wittenberg mit seinem Schlauchboot „Rocky“ wieder im Großensieler Sportboothafen an. Bild: Privat
Mit einem Schlauchboot von Nordenham nach Swinemünde in Polen? Für Horst Wittenberg war das ein Traum, den er sich jetzt mit 80 Jahren erfüllt hat. Hier berichtet er von der spektakulären Fahrt.
Nordenham/Swinemünde - Als er 1945 mit seiner Oma und seiner Mutter auf der Flucht vor den Russen das rettende Schiff in Swinemünde bestieg, war Horst Wittenberg zwei Jahre alt. Für den gebürtigen Stettiner, der später in Nordenham ein neues Zuhause fand, ist eins immer klar gewesen: „Irgendwann wollte ich Swinemünde noch einmal sehen.“ Diesen Wunsch hat er sich nun im Alter von 80 Jahren erfüllt. Allerdings auf eine spektakuläre Weise. Er setzte sich nicht ins Auto oder in einen Zug, sondern legte die Reise in die polnische Hafenstadt in einem Schlauchboot mit Außenbordmotor zurück. Ganz alleine.
Erfahrener Seemann
Dass Horst Wittenberg den abenteuerlichen Weg über Flüsse, Kanäle und die Ostsee wählte, hängt mit seiner beruflichen Vergangenheit zusammen. Der Nordenhamer ist 48 Jahre auf großen Pötten zur See gefahren, hat als Schiffsingenieur die halbe Welt gesehen. Auf einer Wandkarte in seinem Haus in Friedrich-August-Hütte sind all die fernen Länder, die er einst als Seemann angesteuert hatte, mit Stecknadeln markiert.
Erst mit 69 hat er abgeheuert. Die enge Verbundenheit zum Meer ist geblieben. „Wenn ich dem Wasser und den Wellen ganz nah bin, fühle ich mich am wohlsten“, sagt Horst Wittenberg. Dass er über einen Bootsführerschein für See und Binnen verfügt, versteht sich fast von selbst. Auch die Kunst des Navigierens beherrscht der rüstige Seebär.
Auf „Rocky“ getauft
An seinem Plan, von Nordenham nach Swinemünde und zurück zu schippern, hat Horst Wittenberg lange gefeilt. Er tüftelte eine etwa 1600 Kilometer lange Strecke aus, legte die Etappen fest und besorgte sich die erforderliche Ausrüstung. Das Wichtigste waren natürlich ein robustes Schlauchboot und – noch wichtiger – ein zuverlässiger Außenbordmotor. Er entschied sich für ein Dreikammerboot mit Aluminiumboden, das 3,80 Meter lang und 1,70 Meter breit ist. Dem Boot gab er den Namen „Rocky“ – in Erinnerung an seinen verstorbenen Hund. Bei der Wahl des Antriebs bekam ein 9,9 PS starker Yamaha-Außenborder, der als unverwüstlich gilt, den Vorzug. „Vom Motor hängt alles ab“, weiß Horst Wittenberg.
Am 10. Juni trat der Nordenhamer im Großensieler Sportboothafen mit seiner „Rocky“ die lange Reise an. Mit an Bord waren 96 Liter Benzin in Tanks, die er bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder auffüllte. Aus gutem Grund: „In vielen Häfen gibt es nur Diesel“, erzählt Horst Wittenberg.
Täglich legte er etwa zehn Stunden auf dem Wasser zurück und steuerte dann einen Hafen an, um dort die Nacht zu verbringen. Meistens schlief er in einem kleinen Zelt, manchmal auch in eine Plane eingehüllt auf dem engen Boot oder auf einer Parkbank. Das hing immer von den Bedingungen in den jeweiligen Häfen ab So manches Mal ist Horst Wittenberg vom Regen durchnässt und von Mücken zerstochen aufgewacht. Früh am Morgen kurz nach Sonnenaufgang ging’s weiter.
Toller Empfang
Die Strecke führte zunächst über die Weser, den Mittellandkanal, die Havel, den Oder-/Havelkanal und die Oder nach Swinemünde. Zurück in Richtung Westen nahm er dann die Route über die Ostsee, den Elbe-Lübeck-Kanal, die Elbe, die Geeste und zum Schluss wieder die Weser. Als Horst Wittenberg am vergangenen Sonntag nach 51 strapazenreichen Tagen wieder im Großensieler Hafen eintraf, bereiteten ihm Freunde und Angehörige einen tollen Empfang. Sogar musikalische Grüße mit einem Schifferklavier gab es.
Würde er solch eine Tour noch einmal machen? „Nein, das ist meine letzte große Reise gewesen“, sagt Horst Wittenberg, „es war schön, aber auch sehr anstrengend.“ Der 80-Jährige durchlebte zwar einige gefährliche Situationen, doch nie hat er gedacht, dass er es nicht schaffen würde.
Propeller beschädigt
Brenzlig wurde es zum Beispiel, als ein Schubboot auf dem Mittellandkanal einen mächtigen Wellengang auslöste und Horst Wittenberg in einem kleinen Moment der Unaufmerksamkeit mit seinem Boot auf Steinen aufsetzte. Dabei wurde der Propeller des Außenborders beschädigt. Dank der Hilfe eines freundlichen Hafenmeisters in Wartenbüttel bekam er Ersatz. Aber das dauerte einige Tage.
Mit starken Wellen hatte der 80-Jährige auch im Stettiner Haff zu kämpfen. „Da wurde ich ordentlich hin- und hergeschleudert“, erinnert er sich an den „Höllentrip“. Bei der Rückfahrt auf der Ostsee musste Horst Wittenberg feststellen, dass sein Boot Luft verlor und in Schieflage geriet. Schuld war ein Riss im Boden, den er bei einem Aufenthalt in Kühlungsborn flicken konnte.
Was aber alle Strapazen überwog, das waren die Freundlichkeit und die Hilfsbereitschaft, die der Nordenhamer vielerorts zu spüren bekam. Mal schenkte ihm ein dänischer Skipper bei der Vorbeifahrt einen Beutel mit Proviant, mal wurde er im Hafen zum Essen eingeladen. In Otterndorf richteten Wassersportler sogar eine Abschiedsparty für ihn aus. „Das war richtig rührend“, sagt Horst Wittenberg.

Horst Wittenberg in Kühlungsborn_Bild Privat

Toller Empfang bei der Rückkehr in Großensiel Bild Privat
Weil Swinemünde (Swinoujscie) seit 1992 eine Partnerstadt von Nordenham ist, hat Horst Wittenberg bei seinem Aufenthalt dort dem Stadtpräsidenten Janusz Zmurkiewicz einen Besuch abgestattet. Das Treffen kam allerdings über Umwege zustande, weil der Nordenhamer zunächst nicht das von einem Baugerüst umgebene Rathaus finden konnte und es Verständigungsschwierigkeiten mit dem Empfangspersonal gab. Als er den Namen des in Swinemünde bekannten Nordenhamer Ex-Bürgermeisters Hans Francksen nannte, mit dem Horst Wittenberg befreundet ist, klappte es mit dem Empfang. Von Stadtpräsident Janusz Zmurkiewicz bekam der 80-Jährige ein Buch und ein Video über Swinemünde geschenkt.
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