Hitzig, intensiv und mit makaberem Humor
Artikel vom 24.05.2023

Mit „Lederfresse“ erlebt das Publikum einen packenden Aufruhr von verwirrten Gefühlen, Lebensängsten und absurden Verschwörungsgedanken. Bild: Schuster
Bei der Premiere von „Lederfresse“ erlebte das Wilhelmshavener Publikum einen Theatergenuss, wie er intensiver kaum sein kann. Wer das Stück ebenfalls sehen möchte, muss sich sputen.
Wilhelmshaven - Großen Beifall gab es Samstag für die Premiere des Einakters „Lederfresse“ auf der Bühne des Wilhelmshavener TheOs. In jeder Phase hatte das begeisterte Publikum gespürt, dass ganz viel Herzblut in dieses packende Ensemble-Projekt eingeflossen waren.
„Ich habe die Zukunft gesehen, Liebste, sie ist mörderisch“ sang Leonard Cohen 1997 auf seinem Album „The Future“ und zu diesem düster prophetischen Lied tanzt ER (Robert Zimmermann) eine Art Veitstanz mit einer roten Kettensäge. Angetan mit einer Lederschürze, die mit Blut und Kot beschmiert ist, und mit einer Ledermaske, die Helmut Kraussers erfolgreichem Theaterstück seinerzeit den Titel gab.
Eine solche trug einst der Irre in dem Kult-Horrorfilm „The Texas Chainsaw Massacre“, dem ER irgendwie nachgeistert. Bis SIE (Steffi Baur) hereinplatzt und voller Entsetzen aufschreit. Worauf er erbost zurückschreit, sie hätte nicht hereinkommen und schon gar kein Licht anmachen sollen. Als er auch noch tobt, sie habe offenbar kein Vertrauen zu ihm, bringt ER SIE noch mehr auf, denn SIE hat gerade ihren Kellnerinnen-Job verloren.
Hitzig, lautstark und intensiv mit makaberem Humor fliegen hier die Fetzen und Regisseur Sven Heiß lässt seine Akteure in seinem Lieblingsstück rumtoben. Wenn ER einerseits auf Versöhnung drängt – „ist immer so schön“ – und in seiner Realitätsangst fordert, man müsse sich Filme wie den mit der Lederfresse unbedingt anschauen, um die Welt zu sehen, wie sie ist, drängt SIE darauf, ihr Geld zurückzubekommen.
Ihre 400 Euro für Notfälle brauche sie jetzt. Und SIE explodiert, als ER erklärt, die habe er für etwas sehr Sinnvolles ausgegeben: die Kettensäge. Fassungslos muss SIE sich Sprüche über das Instrument als Metapher für Ruhe anhören, und immer wieder, dass die Welt da draußen widerlich sei.
Die aber bricht dann als simple Realität wirklich ein, denn das Paar, seit 14 Monate Liebende, hat derartig laut gestritten, dass der Nachbar anklopft. Und natürlich wird er von ER rüde und unter Aufheulenlassen der Säge abgewiesen. Als daraufhin auch noch die Polizei aufkreuzt, hat SIE keine Chance mit Appellen an die Vernunft: erneut lässt ER die Kettensäge aufheulen, fordert in Ruhe gelassen zu werden, und triumphiert, als sich die Ordnungshüter scheinbar zurückziehen: „Da hat sich die Säge doch schon amortisiert.“
Und das Publikum ist bis auf die Lacher bei dem ein oder anderen schwarzhumorigen Zitat mucksmäuschenstill, denn es erlebt diesen packenden Aufruhr von verwirrten Gefühlen, Lebensängsten und absurden Verschwörungsgedanken ja gewissermaßen hautnah mit. Und erlebt einen erstaunlichen Wandel, als draußen die Polizei aufzieht, die ER aber völlig weltfremd verhöhnt. Bis drinnen auf einmal mit Schummerlicht eine weltabgeschiedene Nachtruhe eintritt, lediglich unterbrochen von einschlägigen Geräuschen der „Versöhnung“.
Am Morgen dann ein großer, wirrer Monolog des Möchtegernschriftstellers, zu dem ER sich wieder zur Lederfresse macht und sicher ist: „Die Säge beschützt mich.“ Ob sie das wirklich kann, soll hier aber nicht verraten werden. Jedenfalls hat das Premierenpublikum einen Theatergenuss erlebt, wie er intensiver kaum denkbar ist.
Und das als „Bonus und Bonbon“ neben dem regulären Spielplan der Landesbühne Nord, wie Dramaturg Peter Krauch sehr zu Recht eingangs betont hatte. Da müssen sich die Theaterfreunde sputen, denn es gibt nur noch zwei weitere Aufführungen am 30. Mai und am 6. Juni jeweils um 20 Uhr.
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