Artikel vom 31.08.2023

Obwohl gesetzlich maximal 30 Stunden pro Woche erlaubt sind, arbeiten Au-pairs nicht selten deutlich mehr. Bild: Andrea Piacquadio / Pexels
Julia war als Au-pair im Ammerland tätig und wurde von ihrer Gastfamilie ausgenutzt. Expertin Annika Grüske weiß, dass dies kein Einzelfall ist. Sie hilft Au-pairs in Not und erklärt, wie es zu solchen Fällen kommt.
Im Nordwesten - „Ich fühle mich einsam und traurig“, schreibt Julia. Mit diesen Worten wendet sich die 22-Jährige hilfesuchend an eine Facebook-Gruppe für Au-pairs aus Madagaskar in Deutschland. Ihren Namen haben wir geändert, weil sie Konsequenzen fürchtet. Sie ist seit zehn Tagen bei ihrer Gastfamilie im Ammerland und fühlt sich müde und ausgelaugt, weil sie fast jeden Tag um 6 Uhr aufstehen und bis zu zehn Stunden arbeiten müsse. Sie habe nicht einmal Zeit, mit ihrer Familie zu telefonieren.
Julias Erlebnis ist kein Einzelfall. Jedes Jahr kommen laut der Gütegemeinschaft Au-pair, die Au-pair-Agenturen prüft und mit einem Gütezeichen versieht, zwischen 12.000 und 15.000 Au-pairs nach Deutschland. Und viele haben sich ihr Erlebnis anders vorgestellt, weiß Annika Grüske. Sie betreibt die Au-pair-Agentur „Schnelle Hilfe“ in Köln und hat sich auf Au-pairs in Not spezialisiert. „Jedes Jahr vermittle ich rund 50 Wechsler oder Wechslerinnen in neue Familien“, erklärt sie. „Diese Au-pairs erzählen mir die schlimmsten Geschichten.“
Überarbeitet und überfordert
Obwohl Au-pairs laut der Bundesagentur für Arbeit gesetzlich maximal 30 Stunden pro Woche arbeiten dürfen, verlangen einige Familien mehr von ihnen, sagt Grüske. Fast immer sind dies Gastfamilien, die ihr Au-pair nicht über eine Agentur vermittelt bekommen, sondern über Facebook oder die Plattform „Au-pair World“ selbst ausschreiben. Und ohne Agentur haben die Au-pairs in Not niemanden, an den sie sich wenden können.
Auch Julia wurde ihrer Gastfamilie privat vermittelt und hat gleich zu Beginn einen Wochenplan vorgelegt bekommen, der unserer Redaktion vorliegt. So stellt sich die Familie den Tag des Au-pairs vor: Los geht es um 6 Uhr morgens, wenn sie die Kinder weckt und fertig macht. Sie bereitet ihnen Frühstück, schmiert Brote und bringt sie in die Schule. Dann putzt sie die Küche, räumt das Kinderzimmer auf, saugt und wischt im ganzen Haus. Später holt sie die Kinder wieder ab, hilft ihnen bei den Hausaufgaben, spielt mit ihnen und badet sie. Anschließend reinigt sie erneut die Küche und bringt die Kinder ins Bett. Sie kämmt ihnen die Haare, hilft beim Zähneputzen und liest ihnen ein Buch vor. Erst wenn beide Kinder gegen 20.30 Uhr wirklich schlafen, ist Julias Dienst beendet.
„Viele Au-pairs, die mich kontaktieren, sind einfach völlig überarbeitet und überfordert“, erklärt Annika Grüske. „Sie sollen die Kinder erziehen, Essen kochen und den Haushalt schmeißen.“ Laut dem Gesetz dürfen Au-pairs neben der Kinderbetreuung nur „leichte Hausarbeit“ erledigen.
Wie kann es dazu kommen?
Einfach zu kündigen ist für viele Betroffene trotzdem keine Option. Denn gerade Au-pairs aus Nicht-EU-Ländern kommen mit der Hoffnung nach Deutschland, hier ein neues Leben anzufangen. „Sie sind auf die Familien angewiesen für ihr Visum, um ihre Träume verwirklichen zu können“, erklärt Annika Grüske. „Diese Not wird von den Familien ausgenutzt. Sie wissen, dass die Au-pairs von ihnen abhängig sind.“
Durch ihren Aufruf bei Facebook war Julia in der Lage, Unterstützung und eine neue Gastfamilie zu finden. Trotzdem bleibt die Frage: Warum gibt es trotz gesetzlicher Vorgaben immer wieder solche Fälle? Grüske ist der Meinung, das liege daran, dass es für die Familien keine Konsequenzen gebe: „Selbst wenn Agenturen sich bei der Ausländerbehörde über Familien beschweren, passiert nichts.“
Die Ausländerbehörde der Stadt Oldenburg erklärt: „Gehen Beschwerden ein, werden diese vom Ausländerbüro ernst genommen und aufgegriffen.“ Allerdings sagt die Stadt auch, dass Au-pairs, die nicht über eine Agentur vermittelt wurden, grundsätzlich für sich selbst verantwortlich seien.
Was muss sich ändern?
Es braucht also Menschen, die sich für diese privat vermittelten Au-pairs einsetzen, sagt Annika Grüske. Sie wünscht sich unabhängige Beschwerdestellen. Noch deutlichere Worte findet Katharina Gast vom Verband Au-pair Society: „Wir müssen die Uhr um 20 Jahre zurückdrehen und die Agenturpflicht wieder einführen.“ Nur so könne sichergestellt werden, dass Familien nicht auf eigene Faust Au-pairs ins Land holen und ausnutzen.
Was ist ein Au-pair?
Als Au-pair-Mädchen oder -Jungen bezeichnet man junge Erwachsene, die in der ganzen Welt freiwillig in Gastfamilien tätig sind. Ihre Hauptaufgabe dort ist die Kinderbetreuung.
Für Familien, die sich Hilfe bei der Kinderbetreuung wünschen, sind Au-pairs eine Alternative zu kommunalen oder privatwirtschaftlichen Angeboten, die oft zeitlich begrenzt und/oder kostspielig sind. Die Au-pairs wohnen bei den Familien, für ihre Arbeit erhalten sie Verpflegung und Taschengeld.
Für die Au-pairs wiederum bietet sich die Gelegenheit, während ihres Aufenthaltes die Sprache und Kultur ihres Gastlandes kennenzulernen.
Der Begriff „au pair“ ist französisch und bedeutet übersetzt so viel wie „auf Gegenleistung“.